Gedanken von Dietrich Bonhoeffer

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Aus: Von guten Mächten

 

Man lernt erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann (eine sogenannte priesterliche Gestalt!), einen Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, – dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist Umkehr und so wird man ein Mensch, ein Christ. (Vgl. Jeremia 45) Wie sollte man bei Erfolgen übermütig oder an Misserfolgen irre werden, wenn man im diesseitigen Leben Gottes Leiden mitleidet? … Ich bin dankbar, dass ich das habe erkennen dürfen und ich weiß, dass ich es nur auf dem Wege habe erkennen können, den ich nun einmal gegangen bin. Darum denke ich dankbar und friedlich an Vergangenes und Gegenwärtiges. Gott führe uns freundlich durch diese Zeiten; aber vor allem führe er uns zu sich.
Aus: Widerstand und Ergebung


"Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?" fragt Jesus in Gethsemane (Matthäus 26, 40 b). Das ist die Umkehrung von allem, was der religiöse Mensch von Gott erwartet. Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitzuleiden. Er muss also wirklich in der gottlosen Welt leben und darf nicht den Versuch machen, ihre Gottlosigkeit irgendwie religiös zu verdecken, zu verklären; er muss "weltlich" leben und nimmt eben darin an den Leiden Gottes teil; er darf "weltlich" leben, d. h. er ist befreit von den falschen religiösen Bindungen und Hemmungen. Christsein heißt nicht in einer bestimmten Weise religiös sein, auf Grund irgendeiner Methodik etwas aus sich zu machen (einen Sünder, Büßer oder
einen Heiligen), sondern es heißt Mensch sein, nicht einen Menschentypus, sondern den Menschen schafft Christus in uns. Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben. Das ist die
Umkehr, nicht zuerst an die eigenen Nöte, Fragen, Sünden, Ängste denken, sondern sich in den Weg Jesu mithineinreißen lassen, in das messianische Ereignis, das nun erfüllt wird (Jesaja 53, 4): Fürwahr, er trug unsere Krankheit, und lud auf
sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott erschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet, und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten; und durch seine Wunden sind wir geheilt. 
Aus: Widerstand und Ergebung

 

Ein Geheimnis hatte Jesus seinen Jüngern bis zum letzten Abendmahl verborgen. Zwar hatte er sie nicht im Unklaren gelassen über seinen Leidensweg. Aber das tiefste Geheimnis hatte er ihnen noch nicht offenbart. Erst in der Stunde letzter Gemeinschaft beim Heiligen Abendmahl konnte er es ihnen sagen: Des Menschen Sohn wird überantwortet in die Hände der Sünder – durch Verrat. Einer unter euch wird mich verraten (Matthäus 26, 20-25). Die Feinde allein können keine Macht über ihn gewinnen. Es gehört ein Freund dazu, ein nächster Freund, der ihn preisgibt, ein Jünger, der ihn verrät. Nicht von außen geschieht das Furchtbarste, sondern von innen. Der Weg Jesu nach Golgatha nimmt seinen Anfang mit Jüngerverrat. Die einen schlafen jenen unbegreiflichen Schlaf in Gethsemane (Matthäus 26, 40), einer verrät ihn, zum Schluß "verließen ihn alle Jünger und flohen" (Matthäus 26, 56). Die Nacht von Gethsemane vollendet sich. "Siehe, die Stunde ist hier" – jene Stunde, die Jesus vorhergesagt hatte, von der die Jünger seit langem wussten, und vor deren Eintreten sie bebten, jene Stunde, auf die sich Jesus so ganz bereitet und für die die Jünger so ganz und gar unbereitet waren, die Stunde, die nun mit keinem Mittel der Welt mehr hinauszuschieben war – "siehe, die Stunde ist hier, dass des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird." (Matthäus 26, 45 b-50).
Aus: Illegale Theologenausbildung Finkenwalde 1935-1937